Donnerstag, 29. Dezember 2016

„Ich wünsche mir Demut“: Interview mit dem Jahr 2016




Ein ausführlicher Rück-Blick (Abbildung ähnlich)


Paderborn – Wieder neigt sich ein Jahr dem Ende entgegen, für viele eines der schlimmsten Jahre seit langem. Die Kölner Silvesternacht, Terror, Krieg, Flüchtlinge, prominente Todesfälle, der EM-Titel für Portugal, die Liste der Schrecken ist lang. Viele fragen sich deswegen: „Was sollte das denn bitte?“ In einem großen Exklusivinterview mit dem AnzeigerdurchdieGalaxis verrät das Jahr 2016 einiges über seine wahren Beweggründe.

AnzeigerdurchdieGalaxis (AdG): Hallo 2016. Schön, dass Sie die Zeit gefunden haben für ein Interview. Waren Sie schon mal in Paderborn?

Jahr 2016 (J16): Ja, in Paderborn war ich ca. 12 Monate, eben gerade erst. Vielen Dank, dass ich hier sein darf. Es ist mir selbst ein Anliegen, nochmal über ein paar Dinge zu sprechen, die viele vielleicht sonst falsch verstehen könnten. Die Leute reden ja gerne über einen, aber selten mit einem.

AdG:    Sie fühlen sich von den Leuten ungerecht behandelt?
J16:      Bitte, wir können gerne beim „Du“ bleiben.
AdG:    Meinetwegen. Du fühlst dich also ungerecht behandelt?
J16:      Nunja. Ich kann durchaus verstehen, dass vieles, was in den letzten 12 Monaten passiert ist, die Leute verärgert. Ich habe ein paar schwierige Entscheidungen getroffen, dabei war mir natürlich klar, dass ich damit nicht unbedingt zu „Everybody’s Darling“ werde. Aber ich wollte damit deutlich machen, dass das Leben eben nicht immer wie in Hollywood läuft. Es gewinnen eben nicht immer „die Guten“.
AdG:    Wer genau sind denn “die Guten”? Und wer sind „die Bösen“? IS? Putin? Reichsbürger?
J16:      Ok, ich habe selber gerade salopp von “den Guten” gesprochen. Aber eigentlich geht es da ja schon los. In den meisten Kinofilmen, in Märchen, in Büchern, überall wird uns meistens vorgegaukelt, dass es klar Gut und Böse gibt. Im realen Leben ist das aber nicht immer so eindeutig zu sagen. Zugegeben, der IS ist natürlich ein schöner Extrempol für „das Böse“. Wie in klassischen Filmen bekennt sich der IS ja sogar öffentlich dazu und macht keinen Hehl daraus.
AdG:   Der IS ist natürlich keine Erfindung von dir.
J16:     Nein, ich habe ihn natürlich von meinen Vorjahren übernommen. Aber ich habe versucht, ihn noch tiefer zu zeichnen, die Bosheit auf eine neue Stufe zu heben. Ungläubige Köpfen war natürlich nicht schlecht, aber das nutzt sich ab. Außerdem ist es schon sehr Klischee. Erst Anschläge in Deutschland haben den IS zu einer persönlichen Bedrohung werden lassen.
AdG:   Und dann gab es noch die Sache mit dem 12-jährigen.
J16:     Natürlich, ja. Ich meine, wie kann man Böses noch böser machen? In dem man Kinder mit reinzieht. Meine erste Idee war natürlich ein Anschlag mit Kindern als Opfer. Aber dann kam mir der Gedanke, dass es eine Sache gibt, die noch grausamer wirkt.
AdG:     …wenn man unschuldige Kinder zu Tätern macht. Grausam genial. Am Ende blieb es aber doch bei der Idee.
J16:      Ja, durchaus. Aber Horror entsteht nicht immer durch das, was ist, sondern durch das, was sein könnte. Die Andeutung alleine, das Versprechen, dass es eines Tages passieren könnte, ist wirksamer als Angstmotor, als wäre es tatsächlich passiert.
AdG:   Zurück zu den Guten. Wer sind die?
J16:     Tja, das ist schon schwieriger. Gibt es denn wirklich Gute? Natürlich neigen wir Menschen immer dazu, uns vielleicht nicht als perfekt und unfehlbar, aber im Kern doch als Gut zu beschreiben. Der eigene Standpunkt ist immer der moralisch richtige, und die Personengruppe, der man sich zugehörig fühlt oder für die man Sympathien hegt, ist im Großen und Ganzen auch gut. Mein großes Ziel war es, dieses Weltbild bei möglichst vielen ins Wanken zu bringen.
AdG:   Asylbewerber, Immigranten und Flüchtlinge vergreifen sich in Köln an Frauen; Flüchtlinge planen Anschläge, Vergewaltigung in Freiburg, dann natürlich nochmal Berlin am Ende. Der „Gutmensch“, aber auch andere Flüchtlinge mussten hier ja stark an ihrem Weltbild knabbern.
J16:     Ja, aber auch für die andere Seite hatte ich etwas in Petto. Der München-Attentäter, der gleichzeitig Migrationshintergrund hat, aber eindeutig dem rechten Metier zuzuordnen war. Und natürlich ein kleiner Geniestreich: Uwe Mundlos und Peggy… Von Kleinkram wie den absurden, ja dämlichen Aussagen der AfD-Vertreterinnen und –Vertreter oder dem Teneriffa-Ausflug von Lutz Bachmann möchte ich gar nicht reden. Auch die Gegenseite der Gutmenschen hätte über einiges nachdenken können.
AdG:   Hätte können?
J16:     Wie es aussieht, haben die Angehörigen dieser Gruppen inzwischen recht erfolgreiche Schutzstrategien aufgebaut. Egal, wie eindeutig die Beweislage war, sie haben alles auf die Lügenpresse geschoben. Da habe ich den richtigen Hebel einfach noch nicht gefunden. Selbst die syrischen Flüchtlinge, die ihren Landsmann von einem Anschlag abgehalten haben, also sehr heldenhaft gehandelt haben, wurden kleingeredet oder sogar ins Negative verkehrt.

AdG:   Mal etwas anderes: Die vielen Promis, die gestorben sind… gut, bei einigen war es an der Zeit, aber bei vielen kam es wirklich überraschend und zu früh.
J16:        Das fiel mir auch nicht immer leicht. Gerade David Bowie hat mich viel Überwindung gekostet. Auch George Michael jetzt, weil es wirklich ohne jegliche Ankündigung war… glaub mir, das hat mir schlaflose Nächte bereitet. Aber auch Carrie [Fisher, Anm. d. Red.] und Bud [Spencer, Anm. d. Red.] werden mir sehr fehlen, obwohl es bei Buddy einfach an der Zeit war.
AdG:   Aber warum dann?
J16:     Um eines deutlich zu machen: das Leben ist kostbar und es kann jeden von uns jederzeit erwischen, auch wenn es uns scheinbar gut geht. Anschläge mit „anonymen“ Todesopfern haben hier nicht die gleiche Wirkung, wie der Abschied von einem Promi, den man schon lange kennt. Es können nicht immer nur die Sterben, von denen man es erwartet hat, so funktioniert die Welt eben nicht. Außerdem muss man auch sagen: meine Vorjahre haben sich nicht lumpen lassen, sehr sehr viele Promis und Möchtegernpromis hervor zu bringen. Aber keiner hat den Mut, welche gehen zu lassen. Hier habe ich auch von George RR Martin gelernt.
AdG:   Dem Schöpfer von „Game of thrones“?
J16:     Ja, genau. Der Mut, auch mal eine beliebte Hauptfigur gehen zu lassen, obwohl man das Gefühl hat, da hätte noch etwas kommen müssen. Das fällt nicht leicht, aber man lernt dadurch mehr über das Leben, als durch ständige Wunderheilungen und Rettungen in letzter Sekunde.

AdG:   Wundersame Rettungen in letzter Sekunde gab es auch nicht bei fragwürdigen politischen Entscheidungen. Erst Brexit, dann Trump… zugegeben, das war ja recht witzig, aber könnte das Thema im neuen Jahr wieder mit mehr Ernst behandelt werden?
J16:     Mehr Ernst? Das war Ernst. Natürlich, es wirkt alles sehr absurd, das gebe ich zu. Aber es steckt ein sehr ernster Kern darin. Eigentlich sogar mehrere Aspekte.
AdG:   Nämlich welche?
J16:     Also zum einen macht es deutlich, wie viel politische Verantwortung dennoch jeder einzelne in einer Demokratie hat. Die Pflicht, sich zu informieren und auch eigene, unabhängige Meinungen zu bilden ist elementar. Nicht wie beim Brexit, als im Nachgang das plötzliche Erschrecken darüber kam, dass viele der vorgebrachten Argumente für den Ausstieg gar nicht der Wahrheit entsprechen. Außerdem zeigen beide Wahlen, dass es nicht reicht, sich darauf zu verlassen, dass schon das richtige passieren wird, sondern dass man selbst seinen Teil beitragen muss, und sei er noch so klein. Es zählt am Ende eben doch jede einzelne Stimme.
AdG:    Was noch?
J16:      Menschen lernen nicht. Und noch weniger aus Fehlern von anderen. Nach dem Brexit dachten alle, dies sei für alle anderen Demokratien der Welt ein Warnschuss. Doch dann kam die US-Wahl…
AdG:    Das war es?
J16:      Noch nicht ganz. Beide Ergebnisse sind natürlich nicht einfach nur mit unzureichendem Wählerverhalten zu erklären. Dahinter steckt auch gleichzeitig die Zuschaustellung der grassierenden Unzufriedenheit vieler mit dem Status Quo. Ein bisschen Protestwahl, ein bisschen Demonstrieren, ein bisschen politischer Aktionismus – das haben meine Vorjahre gerne mal als Stilmittel gewählt. Mir war das zu wenig. Ich wollte es auf die Spitze treiben und dabei möglichst ins Absurde ziehen.
AdG:    Das war also Satire?
J16:      Zumindest war das meine Idee. Ob es gelungen ist, sollen andere beurteilen.

AdG:    Das klingt ja fast nach Jan Böhmermann.
J16:      Ach, die Geschichte war für mich eher Unterhaltung. Erdogan hingegen nicht.
AdG:    Erdogan?
J16:      Na bitte, Europa und die USA hadern mit ihrer Demokratie, und Erdogan, der sowohl in Syrien als auch bei der Flüchtlingskrise ordentlich mitmischt, baut selbige gerade gezielt ab und wird dafür noch von vielen im eigenen Land bejubelt. Und was passiert ihm?
AdG:   Internationale Empörung.
J16:     Genau. Und nicht mehr. Und mit dieser Empörung wischt er sich auf seiner goldenen Palasttoilette den Allerwertesten ab.

AdG:   Apropos goldene Toilette und Empörung: Hoeneß ist wieder zurück im Amt, im gleichen Jahr fliegen Steuerschummeleien bekannter Fußballstars auf, und scheinbar kümmert es keinen. War das ein Blindgänger?
J16:     Nicht im Geringsten. Ich meine, ist das nicht schön? Stell dir vor, statt Uli Hoeneß beim FCB wäre ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender einer Bank wieder in seinen Posten gekommen, nachdem er wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis war. Was hätte das für einen Aufschrei gegeben? Über die Schummeleien von Özil und Ronaldo echauffiert man sich eben am Stammtisch, dann ist‘s aber auch wieder gut.
AdG:    Und dann wird Christiano Ronaldo auch noch aufgrund eines umstrittenen neuen EM-Modus gefühlt ohne Sieg Europameister.
J16:      Ja, ist das nicht schön, wie das ins Gesamtbild passt? Dieser EM-Modus wurde dabei fast heftiger diskutier, als das Wahlmännersystem in den USA.

AdG:    Langsam erkenne ich eine Gesamtaussage.
J16:      Ach? Nun bin ich gespannt.
AdG:    Du wolltest quasi der Menschheit einen Spiegel vorhalten, die eigenen Fehlbarkeiten, die eigene Verwundbarkeit deutlich machen, Weltbilder ins Wanken bringen und selbstverständlich wirkende Errungenschaften wie die Demokratie in Frage stellen. Dabei hast du auch nicht davor zurück geschreckt, das Absurde und das Undenkbare als Stilmittel zu verwenden und auch wirklich unbeliebte und unangenehme Entscheidungen zu treffen.
J16:      Ja, das trifft es glaube ich sehr gut. Wobei ich nicht sagen würde, dass ich die Demokratie „in Frage stellen“ will. Ich möchte aber, dass wieder intensiv darüber nachgedacht wird, was Demokratie eigentlich und wo auch hier die Grenzen liegen.
AdG:   Wenn du dir wünschen könntest, wie die Menschen rückwirkend mit dem Erlebten umgehen…?
J16:     …dann würde ich mir glaube ich vor allem ein wenig mehr Demut wünschen. Demut vor dem Leben, der Komplexität der Welt und davor, die eigene Meinung und Überzeugung nicht so sehr zu verabsolutieren, auch nicht, wenn man auf einer vermeintlich moralisch richtigen Seite steht. Und vor allem wünsche ich mir, dass das Leben wieder bewusster gelebt wird. Ich weiß, ich habe es vielen nicht leicht gemacht, aber ich hoffe sehr auf ein „Jetzt erst recht“. Und ich hoffe auch, dass man nicht nur schlecht an mich zurück denkt, sondern vielleicht auch irgendwann sagen kann: 2016 war hart, aber ich habe viel daraus gelernt.

AdG:   Ganz so schlecht kann es nicht sein, schließlich wurdest Du zum Jahr des Jahres 2016 gewählt.
J16:     Haha, ja, danke. Aber ich glaube, da bist Du auf eine Satire vom Postillon reingefallen.  
AdG:   Wie das? Diese Wahl gibt es gar nicht?
J16:     Doch, natürlich. Aber eigentlich gewinnt in Deutschland fast immer das Jahr 1945.
AdG:   Wieso das?
J16:     Natürlich ist die Erinnerung an das aktuelle Jahr immer sehr frisch. Aber 1945 wirkt in Deutschland immer noch unglaublich intensiv nach – und zwar für alle politischen Lager, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Für die einen steht das Jahr für Befreiung, für Neuanfang. Für andere ging etwas zu Ende. Ausnahmen sind die Jahre 1954, 1974 und 1990.
AdG:   Weil wir Weltmeister wurden?
J16:     Klar. 54 war das erste Mal, dass Deutschland wieder positiv in der Welt wahrgenommen wurde. Das war auch gut fürs Ego. 74 war die WM auch noch im eigenen Land und 1990 kam die Wiedervereinigung dazu.
AdG:   Und 2014?
J16:     Ja, das war auch nicht schlecht. Aber trotz Titel-Euphorie und dem sensationellen Halbfinale waren zu der Zeit andere politische Themen schon spürbar, die wiederum auf 45 zurückführten…

AdG:   Ok, Fußball hin oder her, warum gab es in den letzten 12 Monaten so wenig Positives?
J16:     Die Frage von dir? Du hast im August geheiratet.
AdG:   Touché. Aber einen humoristischen Höhepunkt habe ich auch noch gefunden.
J16:     Nämlich?
AdG:   Ozzy Osbourne betrügt seine Frau mit seiner Hairstylistin. Ozzy. Hairstylistin. Und sie merkt nichts. Das ist schon ne Nummer.
J16:     Ja. Da habe ich mich hinreißen lassen.
AdG:   Nun noch eine letzte Frage: hast Du schon mit 2017 gesprochen? Was wird uns erwarten?
J16:     Allzu viel weiß ich zwar nicht, bei ein paar Themen stehen wir aber natürlich im Austausch. Ich möchte aber nicht zu sehr vorgreifen. Bei den versterbenden Promis kann ich sagen: es werden ein paar weniger, aber dafür ein sehr aufsehen erregender Fall, mit dem jetzt noch gar keiner rechnet.
AdG:   Wie geht es mit den Flüchtlingen weiter?
J16:     Gegenfrage: wann merken die Leute, dass die Flüchtlingspolitik sich schon lange geändert hat? Aber ich sage eines: die Veränderungen werden weiter gehen. Auch in Syrien kommt etwas Bewegung rein. Aber mehr will ich echt nicht verraten.
AdG:   Ich verstehe. Nun, vielen Dank für das ausführliche Interview. Einige Dinge sehe ich nun doch aus anderem Blickwinkel.
J16:     Das freut mich, ich bin sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit habe, hier noch einmal einiges zu erklären. 
AdG:   Ich wünsche einen guten Ruhestand. Auf Wiedersehen, 2016.

Das Interview führte: adg

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