Bricht ausnahmsweise mal eine Lanze für Politiker*innen: Anhalter (Stattlichkeit ähnlich) |
Deutschland – Man kann davon halten was man will, dass
die erste Jamaika-Koalition auf Bundesebene in Deutschland gescheitert ist. Was
viele genau wissen ist, was sie nun von den beteiligten Politikerinnen und
Politikern halten. Meistens: Nicht viel. Na gut. Jedermanns und –fraus gutes
Recht. Und es gibt im Einzelfall sicher auch immer guten Grund und berechtigte
Kritik. Nach dem „Jamaika-Beben“ bleiben viele Fragen offen. Eine davon vor allem
bleibt aber an der Wählerin und am Wähler hängen: Was erwarten wir eigentlich?
Am Ende kann man attestieren: Egal, was Du als
Politiker*in machst, es ist definitiv falsch. Siehe die aktuelle politische
Lage:
Beispiel SPD
„Was der Wähler will, interessiert die da oben ja gar
nicht. Da wird jedes Wahlergebnis noch als Sieg hingestellt.“ Ja, ein übliches
Prozedere nach jeder Wahl. Da stehen plötzlich fünf bis sechs Parteivorsitzende
vor den Kameras, und jeder verkauft die eigene Partei als den strahlenden
Sieger. Weil man am meisten gewonnen hat, weil man weniger verloren hat als der
andere, weil jeder hätte weniger erwarten müssen… Als Zuschauer*in reibt man sich
die Augen und fragt sich, wie das sein kann.
Doch diesmal sieht die SPD ein: Das Ergebnis ist eine
Abstrafung. Für uns als Partei, aber auch für die große Koalition. Ja, man
hätte sagen können, es ist ja auch ein Sieg. Man hätte als GroKo ja immer noch
die Mehrheit der Wählerstimmen. Doch wäre die SPD wieder in die GroKo gegangen,
man hätte Ihr zugerufen: „Hört Ihr denn nicht die Signale des Volkes?“
Andere haben verhandelt, andere sind nicht
zusammengekommen – und die Prügel bekommt nun wieder die SPD. Weil sie nun
entweder Schuld sind, dass eine abgestrafte Regierungskoalition nicht weiter
geführt wird – oder weil sie sich doch im Namen der Demokratie breitschlagen
lassen und dann auch noch Umfaller sind.
„Sie könnten ja wenigstens mit der Union sprechen.“
Aber warum? Nach vier Jahren GroKo wäre es eher überraschend, wenn man sich nun
so weit voneinander entfernt hat, dass man nicht mehr zusammenfände. Der Grund
für die Ablehnung der GroKo ist aber nicht die Vermutung, dass man keinen
Konsens findet. Die Begründung ist, dass die Wähler offenbar mit der bisherigen
Arbeit nicht zufrieden waren.
Fazit: Ziehen sie nach der verlorenen Wahl die
Konsequenz, aus der Regierung zu gehen, ist es verkehrt. Bleiben sie drin, dann
auch.
Beispiel Grüne
„Dagegen“-Partei, das war lange das Image der Grünen.
Alexander Dobrindt warnte schon vor Beginn der Sondierung vor linken „Spinnereien“.
In der Tat haben die Grünen auch zuletzt zum Teil eher durch eigenwillige
Vorschläge wie einen verpflichtend vegetarischen Tag Aufsehen erregt. Doch von
Spinnereien kann in den Verhandlungen eigentlich keine Rede sein. Man muss die
politischen Positionen der Grünen bezüglich Energie- und Flüchtlingspolitik
nicht teilen. Aber keine davon ist per se albern, absurd oder nur bei einer
Besichtigung des Özdemirschen Balkons denkbar. Auch Blockade kann man den
Grünen nicht vorwerfen. Bei vielen Themen sind sie bis an ihre Schmerzgrenze gegangen
und haben im Sinne einer regierungsfähigen Koalition Ihre Positionen geöffnet.
Sie haben also das umgesetzt, was nun auch der Bundespräsident fordert: Im
Sinne einer Regierungsbildung auch mal Positionen verlassen, wenn es wehtut.
Aber man kann natürlich auch vorwerfen: Vor der Wahl
versprechen sie das eine, und nach der Wahl machen sie dann was Anderes, nur um
zu regieren.
Fazit: Beharren sie stur auf ihren Positionen, ist es
falsch. Gehen sie Kompromisse ein, dann auch.
Beispiel FDP
Hier ist das Problem genau wie bei den Grünen – nur andersrum.
Der Ruf der „Koalitionshuren“ eilt ihnen voraus. Keine eigene Position, für
eine Regierungsbeteiligung singen sie jedes Lied mit. Diesmal nicht. Christian
Lindner beendet die Sondierungsgespräche, weil sich die Liberalen nicht
angemessen im vorgeschlagenen Papier wiederfinden. Und es ist falsch. „Lindner
wirft die Demokratie weg“ – so oder zumindest ähnlich reagiert Deutschland.
Gut, man kann darüber diskutieren, ob die angeblich nicht ausreichenden Punkte es
tatsächlich wert sind, die Jamaika-Koalition zu beerdigen, bevor sie ins Leben
trat.
Aber CL13 vorzuwerfen, er tut dies aus Kalkül… nun,
warum? Weil er jetzt lieber in der Opposition sitzen will, damit sich die FDP
sortieren kann um nach der nächsten Wahl zu… ähm ja, zu regieren. Er verzichtet
also auf eine Regierungsbeteiligung, weil er auf eine Regierungsbeteiligung hofft.
Ahja. In Frage kommt da vermutlich entweder eine Jamaika-Koalition, oder aber
es reicht für Schwarz-Gelb. Ob die FDP als einziger „Juniorpartner“ in
schwarz-gelb bessere Karten hat, als zweitgrößter Koalitionspartner in einer
Dreierkonstellation mit einem „schwachen“ Seniorpartner, das ist fraglich.
Warum die FDP ein jetziges Mitregieren
wegwerfen sollte, obwohl angeblich genug FDP im Kompromisspapier gestanden
haben sollte, ebenso.
Fazit: Lassen sie sich auf die Regierung ein, obwohl
sie nicht alle Positionen mittragen, ist es falsch. Beenden sie die Gespräche,
dann auch.
Insgesamt
Die Wählerinnen und Wähler wollen:
- eine bunte Parteienlandschaft, die klar unterschiedliche Positionen vertreten, anstatt politischem Einheitsbrei
- Parteien, die nach der Wahl zu dem stehen, was sie vor der Wahl versprochen haben
- Parteien, die nicht für Macht und Ämter ihre Überzeugungen beiseitelegen
- Parteien, die trotzdem in jeder beliebigen Konstellation trotz klar unterschiedlicher Positionen mit allen andren koalieren können und einen Konsens für alles finden, ohne von den eigenen Positionen abzuweichen
- Einhörner für alle, die Marshmallow-Regenbögen pupsen
Liebe Politikerin, lieber Politiker, am Ende bleibt eine Erkenntnis: Du
kannst nicht machen, was die Wählerschaft will, weil was sie will, weiß sie meistens
selber nicht. Sie weiß nur, was sie nicht will. Und das meist erst kurz, nachdem
Du es getan hast.
Text: adg
* und die Politikerin, die arme Sau
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